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Deutsch 3.0: Wenn Nachschlagen zu Vorschlagen wird

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Mensch-Maschine

“Ohne Sprache gibt es die Menschen nicht”. Ein einfacher Satz, der aber viel Diskussionspotenzial enthält. Es hält sich wie mit der Henne und dem Ei. Wobei zumindest klar ist, dass zunächst der Mensch da war und dieser dann Worte für die Welt fand. Ab diesem Zeitpunkt wird es aber schon komplex. Denn so alt wie die Menschheit ist die Sprache und die Frage, wie wir uns die Welt in Worten erklären. Und es wird noch komplexer, seit Maschinen und Technologien ebenfalls mitreden. In Zeiten von Google und Co. werden bisherige Techniken des Nachschlagens, Lesens und des Umgangs mit Sprache nicht nur hinterfragt, sondern zum Teil ganz in Frage gestellt.

Für das Goethe-Institut der Anlass für eine kritische Bestandsaufnahme und anregende Diskussion in Sachen Sprache. Gemeinsam mit dem Institut für Deutsche Sprache und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft wurde die Initiative „DEUTSCH 3.0 – Debatten über Sprache und ihre Zukunft“ ins Leben gerufen. Das Ziel: Herauszufinden, von welcher Sprache wir heute reden, wenn wir “unsere Sprache” meinen. “Wie sieht das Deutsch der Zukunft aus? Darüber wollen wir zu einer breiten gesellschaftlichen Diskussion anregen. Wir müssen unsere Sprache von heute kennen, um deren Zukunft erfolgreich gestalten zu können”, heißt es dazu in einer offiziellen Erklärung auf goethe.de.

Am 15. Mai fanden sich Vertreter aus Verlagswesen, Hochschule und Technologiebereich in der Hochschule für Philosophie zusammen, um in einer Podiumsdiskussion über das Thema “Zwischen Alphabet und Algorithmus – Das Ende des Nachschlagens und seine Wirkung auf unsere Sprache” zu sprechen. Gemeinsam mit Dr. Herbert Bornebusch (Klett-Langenscheidt), der mit dem o.g. Einleitungszitat den Abend einläutete, diskutierten Prof. Dr. Alexander Filipović, Prof. Dr. Heiko Beier und Dr. David Klett von “Klett Lernen und Information” über das Nachschlagen, eine der ältesten Kulturtechniken im Umgang mit Sprache, von damals bis heute.

Von Papyrus bis Google

Den Auftakt der Podiumsdiskussion begann Dr. David Klett, Geschäftsführer bei der Klett Lernen und Information GmbH. Er leitete seinen Beitrag mit einem kleinen Exkurs zu den Anfängen des Nachschlagens ein und zeigte: Umblättern war bereits mit Papyrus-Rollen möglich, wenn auch sehr aufwändig, da man beide Hände dazu brauchte, um die Rollen aufzuwickeln. Zwar wurde das Blättern in Büchern im Mittelalter leichter, hier erfolgte das Nachschlagen in Form eines “summenden Durchsprechen sakraler Texte”, die komplett gelesen, statt nur punktuell durchsucht wurden, so Klett.

Die gezielte Recherche, von Klett als ein “Zerstückeln von Texten” benannt, ist Teil der Neuzeit. Im Internet “als stiller Ozean” werden Hierarchien, die bisher Textkorpora und Verzeichnisse zusammenhielten, immer mehr aufgeweicht. Der Akt des Lesens und Nachschlagens werde “ersetzt durch Systeme, die sich uns anschmiegen”, erklärte Verlagsleiter Klett. Als Beispiel gab er die Google Übersetzungen an. “Man gewöhnt sich an Systeme, die spüren, wo wir hadern und uns Vorschläge in Form kleiner Übersetzungen, Hilfen, Fußnoten machen”. Das bisherige Innehalten, um beispielsweise Begriffe nachzuschlagen, entfalle. Man verlasse sich total auf Maschinen. “Algorithmen machen das Leben bequem”, beobachtet David Klett im heutigen Alltag. Dennoch sei das kritische Denken noch immer gefordert. So müssen User “eigene Kriterien entwickeln, was richtig und falsch bei der Beurteilung von Suchergebnissen ist.”.

Algorithmen müssen alle Textbausteine verstehen, sonst vergleicht man Äpfel mit Birnen

Heiko Beier nahm als unser moresophy-Stellvertreter den Technologie-Part in der Runde ein. Wobei man ergänzen muss, dass er schon immer auch eine Nähe zur Philosophie hatte, auch wenn er sich selbst als “Nebenfach-Philosoph” bezeichnet. “Sprache und Sprachkompetenz zieht sich durch alle Technologieprozesse”, brachte Beier, der gleichzeitig Geschäftsführer und Hochschulprofesser ist, in die Diskussion mit ein. Für ihn höre das Nachschlagen angesichts neuer Technologien nicht auf – im Gegenteil: “Wir schlagen mehr denn je nach”. Allerdings heißt es heute eher: “Wir fragen nach”. Klassische Ordnungssysteme würden hinfällig, man lasse sich nicht mehr berieseln, sondern “Individuen begeben sich immer stärker selbst auf die Reise”.

Kritikfähigkeit in einer von Software dominierten Welt gefordert

Daher werde ein “individuell passender Zugang zu Inhalten” immer wichtiger, gab Beier in der Diskussionsrunde zu bedenken. Die Algorithmen von Maschinen müssen “Texte in all ihren Bausteinen verstehen, nicht nur Muster erkennen”, sonst vergleiche man sprichwörtlich Äpfel mit Birnen. Gerade als Technologieanbieter ist man allerdings, auch ohne Google zu sein, mit der Frage konfrontiert, ob die Maschinen den Menschen irgendwann ersetzen. “Die Kritikfähigkeit des Menschen” sei beim Umgang mit Maschinen entscheidend, gerade wenn es “um ambivalente Technologien” gehe. Heiko Beier warnte trotz Technikbegeisterung davor, sich von “vermeintlichen Komfort-Technologien” einlullen zu lassen.

Der dritte im Bunde der Diskussionsrunde war Prof. Dr. Alexander Filipović, der seinen Schwerpunkt auf die Medienkompetenz setzte und damit beide Fäden, die Heiko Beier und David Klett ins Gespräch brachten, zusammenzuführen. Anhand eines anschaulichen Praxisbeispiels, nämlich dem iphone Feature Siri zeigte Filipović in launiger Art und Weise, wie “Maschinen sich immer mehr unserem Bewusstsein annähern: Auf seine Ansage “Du bist doof” entgegnete Siri, scheinbar ein seelenloser Computer mit “Jetzt reicht’s aber”. Filipović sieht die große Herausforderung im Kulturwandel des Nachschlagens darin, auf dem “schmalen Grad zwischen Euphorie und totaler Ablehnung zu wandeln”.

In der Wissenauswahl verschieben sich die Kompetenzen von wenigen Professionellen auf alle – und auf die Software. Die Idee von Enzyklopädien als Wissensquellen weichen einer “situationsbezogenen Auswahl von Wissen”. In der von Software dominierten Welt gelte das von Lawrence Lessig ausgegebene Zitat “Code ist Gesetz”, stellte Filipović fest. Vom Monitor bis zur Webseite – “Code beeinflusst die Darstellung und damit unsere Wahrnehmung der Welt”.

Widerstand gegen vollständige Bequemlichkeit wahren

Ein weiterer Faktor, der uns und unser Verhalten – auch beim Nachschlagen von Informationen – beeinflusst, sind soziale Netzwerke. “Nicht mehr eine objektive Wissensmenge, die es da draußen gibt, sondern die eigene Stellung innerhalb eines sozialen Netzes stellen Orientierungspunkte dar”, erläuterte der Professor für Philosophie in seinem Vortrag. Die Welt erschließe “sich aus dem Inneren des eigenen Netzwerkes und der eigenen Ziele und Bedürfnisse heraus und nicht über das Außen einer mehr oder weniger geordneten Wissenswelt”.

Aus dem Publikum kam der Einwand, das personalisierte Internet lasse einem kaum den Raum zu entkommen. Die Expertenrunde war sich aber einig, dass der Fortschritt einerseits nicht mehr rückgängig zu machen sei, aber die Kompetenz des kritischen Hinterfragen nicht verloren gehen dürfe. “Kommunikation an sich lädt immer wieder zum Aufbruch ein”, sagte David Klett. Heiko Beier plädierte in der Lehre für eine Förderung der “Recherchekompetenz”. Alexander Filipović riet zu “Widerständigkeit gegen die vollständige Bequemlichkeit” und zu “kritischem Denken in einer Welt, die von Software vollgeschieden ist”.


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